Vorschau Magazin: Vom Showbusiness ins Real Business

Vorschau Magazin: Vom Showbusiness ins Real Business

Nathalie Sitter-Ackerknecht ist Mitglied im Klub der Nachfolger. Mit ihrer packenden Geschichte über ihre persönliche Leidenschaft eröffnet sie das neue Magazin, welches am 1.Juni erscheint. Begleiten Sie ihren Weg von der Opernbühne bis ins Familienunternehmen.

Mit neun Jahren habe ich das erste Mal die „Bretter die die Welt bedeuten“ betreten, als Mitglied des Kinderchors der Stuttgarter Oper. Meine Chorleiterin, Frau K. führte mich zur Hauptbühne und ich bekam Herzklopfen, wollte auf dem Absatz umkehren, aber auch wieder nicht. Der blankgebohnerte Boden, der schwarze Vorhang, der sich mit leisem Quietschen zur Seite schob. Frau K. beobachtete mich lächelnd. „Geh ruhig, Kind.“ Vorsichtig, als wäre das Holz aus Glas, setzte ich einen Fuß vor den anderen. Ich spürte es. Der Boden schien zu vibrieren und mit ihm, ich. Da war eine Sehnsucht, ein Verlangen und gleichzeitig Angst zu versagen. Frau K. musste das gespürt haben. Sie stand plötzlich hinter mir und sagte: „Stell dir einfach vor, sie haben alle Salatköpfe.“ Das habe ich nie vergessen. Ich stelle es mir jedes Mal vor, wenn ich einen wichtigen Auftritt habe. Und die Schmetterlinge im Bauch hören nie auf einen zu plagen. Selbst bei größter Routine ist da immer die Angst zu versagen. Die Staatsoper Stuttgart war für sechs Jahre mein zweites Zuhause. Meine musikalische Familie. Die Atmosphäre hinter den Kulissen ist kaum zu beschreiben. Musikinstrumente klingen, Sänger proben. Kostüm und Maskenbildner kannten meinen Schwarm, meine Lieblingsfarbe. In der Kantine trafen sich dann alle, geschminkt und gekonnt verkleidet, oder je nach Auftrittszeitpunkt, in Freizeitkleidung. Die Balletttänzer und Balletttänzerinnen kamen hereingerauscht, immer in Eile und mit einem unbändigen Appetit.

Das spannende an der Opernbühne ist die Dunkelheit in der du spielst. Man sieht höchstens noch die zweite Reihe und danach verschwimmen die Gesichter, die Zuschauer sind nur noch schemenhaft zu erkennen.

 
Du bist allein da oben, musst dich selbst beurteilen, unabhängig von Reaktionen des Gegenübers, stehst im ständigen Austausch mit dir selbst. Das ist eigentlich die schwerste Hürde, die es zu überwinden gilt. Der Künstler wird auf der Bühne geboren. Ich habe heute noch Lampenfieber vor dem Auftritt, aber wenn ich da oben stehe ist es meine Show und mein Publikum, egal wie es läuft. Nach dem letzten Ton, den ich gesungen habe, tauche ich ein in die Menge der Zuschauer. Wenn es positiv gelaufen ist, versinke ich für einen Augenblick des Glücks in ihrer Anerkennung und Bewunderung. Es hat funktioniert. Ich habe alles gegeben und wurde verstanden. Das Gefühl ist einmalig und kaum zu beschreiben. Es hat Suchtcharakter, davon kann man nicht genug bekommen. Jeder, der das erlebt hat, wird es bestätigen. Ich lebte also meinen Traum. Ich war zwar nicht groß durchgestartet, aber die Bühne blieb mir - die Große und die Kleine - manchmal fand sie nur in einer Bar statt, in der mich jemand am Flügel begleitete. Ich war glücklich. Doch dann geschah etwas, was mich an die bisher letzte Kreuzung in meinem Leben führte. Ich sang trotz schwerer Erkältung über acht Stunden auf einer Veranstaltung. Mit dem letzten Ton verlor ich meine Stimme. Es dauerte zwei Wochen, bis ich sie wiederbekam. Es wurde mir bewusst, wie abhängig ich war. Wenn ich meine Stimme ganz verlieren würde, wovon dann leben? Ein Musikinstrument ist ersetzbar, lädierte Stimmbänder nicht. Ich fuhr nach Stuttgart zu meinen Eltern, musste nachdenken, dort wo ich weit weg von allem war. Ich traf alte Freunde, erinnerte mich an mein Leben, wie es vorher war, als Jugendliche und sah was aus den Anderen geworden ist. Die hatten teilweise tolle Jobs. Viele waren verheiratet, manche bauten ein Haus. Auf einem Spaziergang mit unserem Labrador stellte mein Vater mir dann die entscheidende Frage: „Natalie, möchtest du ins Unternehmen einsteigen?“ Die Frage stand immer im Raum, aber nie sprach er sie aus. Und als er es tat, veränderte sich alles für mich. Ich spürte eine Verantwortung, die mir vorher nicht bewusst war. Plötzlich stellte ich mir vor, wie es mit dem Unternehmen weitergehen sollte, in dem ich als Kind meine Hausaufgaben gemacht habe, wo mich die Mitarbeiter teilweise länger kennen als ich sie.

Ich hatte mich verändert, meine Ziele hatten sich verändert. Ich entschloss mich heimzukehren.

 
Ich fuhr zurück nach Saarbrücken. Die Wohnung dort schien mir fremder. Ich bemerkte den durchgetretenen Boden, den vollgepackten Wäscheständer im Wohnzimmer. Es war kalt, der Kohleofen aus. Es roch nach kaltem Rauch und billiger Küche. Aber es gab neue Gigs. Die Nachricht begeisterte mich jetzt weniger als sonst, und doch hinderte sie mich an einer schnellen Entscheidung. Der Gedanke an Veränderung ließ mich jedoch nicht los. Eines Morgens war es dann soweit. Die Frühlingssonne schien durch die ausgebleichten Stores herein und wirbelte Staubkörnchen auf. Ich stellte mich dem, was längst passiert war. Ich hatte mich verändert, meine Ziele hatten sich verändert. Ich entschloss mich heimzukehren. Was genau zu dem tiefen Bruch mit meinem Traum führte, kann ich nicht genau sagen. Viele Faktoren spielten eine Rolle. Die Angst die Stimme einmal für immer zu verlieren und damit meine Existenz, aber vor allem ein Gedanke war es, der mich überzeugte: Machst du deine Leidenschaft zum Beruf, ist das ein Traum, der mit deiner Persönlichkeit sehr eng verbunden ist. Jede Kritik ist eine persönliche Beleidigung und jedes Lob eine persönliche Bereicherung. Am Ende ist man als Sängerin immer eine Dienstleisterin und das bedeutet, dass es nicht nur um die Verwirklichung der eigenen Kunst geht, sondern auch und allem voran um die Kundenwünsche. Je näher die brotspendende Tätigkeit der leidenschaftlichen Utopie kommt, desto stärker verliert die Leidenschaft an Glanz. Demgegenüber ist ein Beruf, den man leidenschaftlich macht, nicht so nahe am persönlichen Sein angesiedelt. Diesen Tausch wollte ich eingehen und ich habe es nie bereut. Oder um es mit der Piaf zu sagen. Je ne regrette rien, ni ne mal ni le bien. Ich bedauere nichts, weder das Gute noch das Schlechte. Auch diesen Song habe ich im Repertoire. Heute begreife ich mehr denn je seine Bedeutung. Ich hatte eine stürmische Jugend. Wenn ich vom Singen träume, sind es echte Erinnerungen und keine Luftschlösser die sich zeigen. Das ist der Grund, weshalb ich meine Entscheidung nicht bereue und nie bereuen werde. Ich habe meinen Traum gelebt und am Ende einen für mich besser passenden Traum gefunden.

 
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